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Heute jährt sich der Todestag meiner Grossmutter zum zehnten Mal. Ich könnte traurig sein. Das fände sie aber genau so unangebracht, wie zu wenig Sex-Partner haben und in einer eingepennter Beziehung ausharren. Eine Hommage an die Frau, die mich kurz vor dem Tod fürs Leben lehrte.
Mein allererstes Wort war Bubu. Bubu war meine Grossmutter. Bubu war die allerbeste Grossmutter, die ich mir hätte wünschen können.
Bubu und ich. Das war eine Liebe von Anfang an. Denke ich an Bubu, sehe ich ihr Lachen. Auch weiss ich noch genau, wie Bubu riecht. Und wie es sich anfühlt, wenn sie mich zur Brust genommen hat.
Bubu war ein Zuhause. Mein Zuhause. Heute vor zehn Jahren ist Bubu gestorben.
Mit ihrem Tod war Bubu sehr okay. Bubu wurde 93. Bis zuletzt wollte sie nicht ins Altersheim. Und bis zuletzt hat Bubu auf ihr «Guet-Nacht-Schnäpsli» gesetzt.
Als Bubu spürte, dass es dem Ende zugeht, war sie froh. Sie habe es gesehen. Habe gelebt. Jetzt sei alles nur mühsam. Und langweilig. Dann hat sie gelacht. Und ich habe gelacht.
An ihrem zweitletzten Tag legte mir Bubu ans Herz, ich soll nicht traurig sein. Ich soll leben. Ich soll meine Zeit auch lustiger verbringen, statt an ihrem Grab ins Leere zu starren. Sie sei ja dann sowieso weg. Und habe wahrscheinlich auch Besseres zu tun.
Bubu war einmalig. Ich vermisse Bubu.
Heute vor zehn Jahren ist Bubu nach kurzer Krankheit friedlich eingeschlafen. Am Nachmittag war ich noch bei ihr zu Besuch. Wir haben viel zu viel Kaffee getrunken und viel zu viel Schümli gegessen.
Ich war damals in einer eingeschlafenen Beziehung. Ich war nicht unglücklich. Ich war aber auch nicht glücklich.
Bubu wusste das. «Herzchen, ich wünsche mir, dass du lebst, dass du Herzklopfen hast, dass dir vor lauter Aufregung schlecht wird», sagte sie.
Ich verstand nicht.
«Verlieb dich, entlieb dich, verlieb dich frisch. Küss die Männer. Tanz mit den Männern. Lass dich von verschiedenen Männern auf Händen tragen.»
Bubu war ihr Leben lang mit meinem Grossvater zusammen. Es war eine sehr schöne und tiefe Liebe, die die beiden verbunden hat. Dennoch pflegte Bubu stets zu sagen: «Weisst du, Herzchen, ich bereue, dass ich nicht weiss, wie sich Sex mit einem anderen Mann anfühlt. Vielleicht wäre der noch besser gewesen? Oder schlechter. Dann hätte ich unser Sexleben vielleicht wieder mehr geschätzt.»
Bubus Worte trafen mich. Ich wusste schon längst, dass die Luft aus meiner damaligen Beziehung raus war. Ich war aber viel zu bequem und zu ängstlich, um weiterzuziehen.
«Geh raus. Geh in die Welt. Lass dich von der Intuition und von der Selbstliebe, die du hast, leiten. Vertrau dir. Und vertrau dem Leben. Aber steh nie still, mein Kind.»
Ich hielt Bubus Hand und schluchzte.
Sie streichelte über meinen Kopf.
«Das ist eine gute Zeit für euch junge Frauen, Herzli. Du kannst ein selbstbestimmtes Leben führen. Du brauchst keinen Mann. Du brauchst Männer. Jetzt, da du jung bist, lass dich fallen. Und lass dir nie nie nie von irgendjemandem einreden, dass du deswegen schlampig bist.»
Ich wusste damals noch nicht so recht, was Bubu meinte. Aber ich wusste, dass Bubu weiss, was das Beste für mich ist.
Sechs Wochen nach Bubus Tod trennte ich mich von meinem damaligen Freund.
Sechs Monate nach Bubus Tod begann die beste Zeit meines Lebens. Ich tingelte von Party zu Party, knutschte auf Tanzflächen, fummelte in Foyers und vögelte in verschiedenen Fluren.
In der Zwischenzeit habe ich mich tausend Mal ver- und entliebt. Und immer, wenn ich irgendwo zwischen Boden und Himmel fliege oder heartbroken in der Hölle weine, denke ich an Bubu. Und fühle mich besser.
Ich würde sehr vieles darum geben, noch einmal mit Bubu sprechen zu können. Ich würde ihr so gerne von all meinen Dates erzählen. Ausserdem würde ich gerne wissen, wie sie Suff-SMS-Sandros und meine Geschichte sieht. Am allerliebsten aber würde ich ihr einfach sagen, dass ich sie liebe.
Heute ist es zehn Jahre her, seit sie gestorben ist.
Ich werde ihr Grab besuchen. Und sie alles fragen. Ich werde ein «Guet-Nacht-Schnäpsli» mitnehmen. Wenn ich Glück hab, hat sie ja heute vielleicht mal nichts Besseres zu tun, als mit mir anzustossen.
Für meine geliebte Bubu, 25.1.1918 - 18.2.2011
Video: watson/lea bloch
Das bin nicht ich, aber so würde ich als Illustration aussehen. Öppe. bild: watson